Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) hat wegen des Abgasskandals am 01.11.2018 die Musterfeststellungsklage gegen die VW AG eingereicht. Nun hoffen viele Geschädigte, es werde möglichst bald „allgemeinverbindlich“ festgestellt, dass VW den Betroffenen haftet. Dann müsse jeder nur noch seine eigenen Ansprüche beziffern und VW zahlt. Dies wird nicht passieren. Die Musterfeststellungsklage ist Neuland. Einzig im Bereich des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) ist Vergleichbares schon etabliert – und auch dort beschäftigen sich Gerichte noch Jahre nach der Einführung mit ungeklärten formellen Rechtsfragen. Und hier zeigen sich Fallstricke und Tücken zuhauf, die es unwahrscheinlich machen, dass auf diesem Wege schnell viele Betroffene zu Schadenersatz kommen werden.
Ansprüche wegen Fahrzeugen, die gewerblich angeschafft wurden, sind ohnehin insgesamt von dem Verfahren ausgeschlossen. Nach dem Gesetz (§ 606 der Zivilprozessordnung, kurz: ZPO) können bei der Musterfeststellungsklage nur Rechtsverhältnisse zwischen Verbrauchern und Unternehmern geklärt werden. Das heißt, die Gewerbetreibenden, die Selbstständigen, die juristischen Personen, die Fahrzeuge für den Fuhrpark und die berufliche Nutzung gekauft haben, können sich dem Verfahren nicht anschließen! Diese dürfen nicht den 31.12.2018 als Stichtag verpassen. Danach könnten die Ansprüche gegen VW verjährt sein.
Die zu erwartende lange Verfahrensdauer der Musterklage führt zu einem weiteren Problem. Im Regelfall sind Fahrzeuge betroffen, die spätestens 2015 gekauft worden sind. Dauert das erstinstanzliche Verfahren beim OLG Braunschweig länger als 2 Jahre (wie prognostiziert), haben wir Ende 2020. Dann sind die betroffenen Fahrzeuge schon mindestens 5 Jahre alt. Eventuell schließt sich ein Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof an, bevor es eine endgültige Entscheidung gibt. Eine kurze Berechnung zeigt den Nachteil der Weiternutzung. Wird das Fahrzeug 2015 neu für 30.000 EUR gekauft und jährlich 20.000 km gefahren, erhält der Eigentümer heute, nach 3 Jahren und 60.000 km, noch 24.000 € für sein Fahrzeug zurück – im Regelfall mehr als den Marktwert. Nach 8 Jahren und 160.000 km sind es nur noch 14.000 €. Während dieser Zeit trägt er Unterhaltskosten, das Risiko weiterer Fahrverbote, des Verlustes des Fahrzeugs durch Unfall oder Schäden am Motor. Ob es bereits durch das „Update“ der Motorsteuerungssoftware zu Schäden kommt, ist ungeklärt. Denkbar ist es mindestens. Der Eintritt solcher Umstände können einen Schadenersatzanspruch eventuell ganz vereiteln, wenn sich der Eigentümer vorzeitig von dem Fahrzeug trennen muss.
Um seine Ansprüche nach Ende des Musterverfahrens durchsetzen zu können, muss sich ein Verbraucher zum Klageregister wirksam eingetragen haben. In § 608 ZPO heißt es hierzu, die Angaben der Anmeldung würden ohne inhaltliche Prüfung in das Klageregister übernommen. Die Anmeldung ist aber nur wirksam, wenn sie frist- und formgerecht erfolgt und alle notwendigen Angaben enthält. Da das Verfahren bisher nicht erprobt ist, können hier noch viele unerfreuliche Überraschungen lauern, die zu einem Mangel der Anmeldung führen. Dann erfährt der Verbraucher möglicherweise nach einigen Jahren, dass er mit der Anmeldung Ende 2018 die Verjährung nicht gehemmt hat und daher alle Versuche, dann noch zu seinem Recht zu kommen, zum Scheitern verurteilt sind. Dann ist es zu spät – der Anspruch (längst) verjährt. Auch muss für eine wirksame Hemmung der Verjährung durch die Anmeldung derselbe Lebenssachverhalt betroffen sein wie in der Musterklage. Fehlen bei der Anmeldung wichtige Angaben zum Lebenssachverhalt, sind sie eventuell nicht nachholbar. Auf dem Weg zur Durchsetzung der Rechte der Käufer liegen daher noch viele Stolpersteine.
Derjenige, der mit einer Individualklage selbst gegen VW vorgeht, kann an den meisten Gerichten deutschlandweit mit einer baldigen (in Oldenburg 3 – 4 Monate) Entscheidung rechnen und sich so sehr schnell Rechtssicherheit verschaffen. Es ist außerdem nicht ausgeschlossen, dass die Musterklage verloren geht. Die Individualklage könnte dann schon längst gewonnen sein. Schlussendlich kann im Musterverfahren auch ein Vergleich der Parteien geschlossen werden, wenn nicht mindestens 30 % der registrierten Musterkläger diesem widersprechen. Es kann also jedem passieren, dass gegen seinen Willen ein Vergleich die Ansprüche regelt. Dann kann er zwar noch aus dem Musterverfahren ausscheiden und seine Interessen selbst verfolgen, fängt dann aber nach 5 Jahren wieder bei Null an. Bis zum Termin zur mündlichen Verhandlung im Musterverfahren kann man übrigens auch noch wieder aus dem Musterverfahren aussteigen und selbst tätig werden, wenn man sich schon in das Klageregister hatte eintragen lassen. Im Übrigen könnte VW auch nach dem Musterurteil die Strategie verfolgen, jeden im Klageregister eingetragenen Verbraucher seine Ansprüche einklagen zu lassen, um dann Mängel der Anmeldung zu rügen. Hätte der Konzern damit Erfolg, würde sich die Wirkung der Musterfeststellungsklage nochmals entscheidend abschwächen. Es lohnt sich daher jedenfalls über eine Individualklage nachzudenken, selbst wenn man nicht rechtsschutzversichert ist.
In unserer Kanzlei bearbeiten die Mandate im Bereich Abgasskandal die Kollegen Andreas Genze und Sebastian Schlüter in Oldenburg und Kathrin Reuter in Hude.
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